Ania und Natalka
Jessica und das gelobte Land
„Putzen“
Eigentlich, rechnete Jessika sich aus, waren die über 2200 Euro doch gar nicht so wenig. Aber Ursula brannte dabei aus, war jetzt schon fertig und wurde immer fertiger. Und das war es ja nicht.
War Ursula mal um 6 zu Hause, ging nichts mehr. Die eigene Wohnung versah, ehrlicherweise, eher Jessika, die dadurch leidliche Eindrücke davon bekam, wie lange das Putzen einer Küchenzeile so dauern konnte.
Und es musste ordentlich aussehen in der neuen Behausung der Frauen. Denn Jessikas Freundinnen waren regelmäßig bei ihr. Und solange alles glänzte, Getränke gereicht wurden, alles so ganz normal aussah, stellte niemand Fragen, die Jessika so fürchtete.
Das war es, worum es eigentlich ging. Keiner durfte merken, dass die beiden Frauen seit Sommer des Jahres am Abgrund lang hangelten. Nie genau wussten, ob sie ihre Rechnungen bezahlen konnten. Nie genau wussten, ob sie so einen Abend in einem riesigem Büro, das geputzt werden wollte, auch wirklich schaffen würden.
Nie wussten, ob Ursula einen Kunden überhaupt behalten würde. Auch nie genau wussten, ob der Kunde zahlte. Sicher wussten, dass Ursula das alles kaum länger als noch einmal sechs Monate aushalten würde.
Der Samstagmorgen brachte sie ihrer neuen Armut noch näher. Beim Einkaufen. Jessika hatte diese Billigmarken alle gar nicht gekannt und diese Billig-Superläden auch nicht. Zum Standardgetränk war ein Instant-Tee gelangt. Jessika konnte das Zeug nicht mehr sehen. Cola und Salzstangen gab’s, wenn Bianca und die anderen kamen. Sonst – andere Welt.
Mit Herzstichen hatte Jessika gesehen, dass ihre Ursula Pflege- und Kosmetikartikel nicht mehr benutzte, nachdem sie ihr ausgegangen waren, sie die Tuben und Döschen aufgebraucht hatte. Die tiefen Riefen und Falten unter den Augen kamen nicht nur von Übermüdung.
Vorsichtig darauf angesprochen, hatte Ursula erstmal geweint, natürlich, dann angedeutet, dass sie abends und im Dunkeln arbeite und bei alten Leuten. Wen interessierte da, wie sie aussah.
Jessika hatte das nicht auf sich beruhen lassen. Sie half, wo sie konnte, und sie hatte es für ihre Verhältnisse erstaunlich weit gebracht. Am Schlimmsten war nicht einmal der Mittwochabend. Sondern die Anwaltskanzlei »Bläser und Kollegen«. Ausgerechnet hier arbeitete Ursula »schwarz« und wurde entsprechend schlecht bezahlt. Ab 17:30 Uhr, bis sie fertig war. Und hier half Jessika ihrer Mutter. Vor Mitternacht hatten sie die Kanzlei nie fertig. Und waren froh, wenn diese fremdartigen Menschen, diese Anwälte, irgendwann bis 10 verschwunden waren, ihnen nicht mehr diese wortlos-entsetzten, erstaunten Blicke zuwarfen. Den beiden auf den Knien liegenden Putzfrauen.
Jessika hatte feststellt, dass ihr das Putzen nichts ausmachte. Vor allem in dem Bewusstsein, damit einen entscheidenden Beitrag zu leisten, dass Ursula sich nicht so alleine vorkam, weil sie es jetzt beide machten, was Ursula so fertig machte.
Aber das Zusehen, diese Blicke, dieses bloß gestellt werden. Jessika hoffte inständig, dass nur wenigstens niemand in der 7B davon erfuhr, wie sie neuerdings ihre Freizeit verbrachte. Und weshalb sie donnerstags ab der 5. Stunde – Gott sei Dank eine Doppelstunde Musik, die Augen nicht mehr aufhalten konnte.
Schlimmer waren die anderen Beschäftigungen, die Jessika angenommen hatte.